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Diskussion: Wer füllt die Lücken am Kärntner Arbeitsmarkt?

Wer soll die durch die Pensionierungslawine der Baby-Boomer entstehenden Lücken am Arbeitsmarkt füllen, fragte sich Mitte Juni ein hochkarätiges Podium auf Einladung der Industriellenvereinigung Kärnten im Klagenfurter Lakesidepark. Die Antworten? Erwartbar bis überraschend, denn die alternde Gesellschaft hat inzwischen offenbar auch ein Mentalitätsproblem. 

Bevor noch Eco-Austria-Chefin Monika Köppl-Turyna und AMS-Kärnten-Geschäftsführer Peter Wedenig sowie Unternehmensvertreter den alarmierenden Status quo beschrieben, hatte IV-Kärnten-Präsident Timo Springer einen gemeinsamen Schulterschluss aller gefordert, um Kärnten als erfolgreichen, für Fachkräfte interessanten, Industriestandort, zu bewerben. LHStv. Martin Gruber kündigte an, ein eigenes Standortreferat mit einer hauptverantwortlichen Standortagentur zu etablieren, die sich um qualifizierten Zuzug kümmern solle.

Monika Köppl-Turyna verortete Kärntens Arbeitsmarkt innerhalb der anderen Bundesländer. Hinter Oberösterreich und Salzburg hat Kärnten inzwischen die im Verhältnis höchste Zahl an offenen Stellen, ist aber gleichzeitig auch das Bundesland mit der zweithöchsten Arbeitslosigkeit. Und daran schloss sie gleich noch ein höchst eigenartiges Phänomen am Arbeitsmarkt an: Rekordbeschäftigungszahlen stehen einem Tiefstwert an durchschnittlich geleisteten Arbeitsstunden gegenüber, nämlich (laut EU-Statistik) 33.

Wo kann man ansetzen?

  • Der Anteil der Frauen, die in Teilzeit arbeiten, hat sich seit den 70er Jahren verdreifacht und liegt inzwischen bei der Hälfte. Köppl-Turyna verhehlt nicht, dass eine Aktivierung in Richtung Vollzeit hier schwierig wäre. Dazu bräuchte es steuerliche Anreize, bessere Kinderbetreuung aber wohl auch eine fundamentale Änderung sozialer Normen. Wieder die Hälfte aller Frauen in Österreich sind laut Umfragen der Meinung, dass ihre Kinder darunter leiden, wenn sie arbeiten gehen. Dänemark, die Niederlande, Frankreich oder Schweden seien hier bereits viel weiter.
  • In der qualifizierten Zuwanderung stimme das Paket nicht. Bürokratische Erleichterungen bei der Rot-Weiß-Rot-Card für Zuwanderer widersprechen im Verhältnis zu anderen entwickelten Ländern Europas sehr hohen Einkommenssteuern und Sozialabgaben. Da habe etwa die Schweiz qualifizierten Zuwanderern ein deutlich besseres Angebot zu machen.
  • Für viele fehlen die finanziellen Anreize, aus der Arbeitslosigkeit in die Beschäftigung zu wechseln. Da habe etwa unser Nachbar Ungarn mit seiner degressiven Arbeitslosenunterstützung deutliche Erfolge erzielt.
  • Das gleiche gilt leider auch für Ältere, die über die Pensionierung hinaus länger arbeiten wollen. Hier könne sie Schweden als positives Beispiel nennen.

Nachhaltige Arbeitsplätze

Peter Wedenig vom AMS Kärnten klärte einen der zentralen Widersprüche am Kärntner Arbeitsmarkt auf: die hohe Arbeitslosenzahl im Verhältnis zu den vielen offenen Stellen. Das hänge mit den enormen saisonalen Schwankungen im Tourismus und im starken Bausektor zusammen. Die offenen Stellen hingegen registriere man im Sektor Metall und Elektro. Er nahm aber auch die Kärntner Unternehmen in die Pflicht. Sie müssten in nachhaltige Arbeitsplätze investieren, um die Beschäftigungsquote der Über-50-Jährigen zu erhöhen.

Außerdem interpretiert er die Aufgabe des Arbeitsmarktservice als eine der kleinen Schritte. Er berichtet von Projekten in Spittal, wo man mit Betrieben an Arbeitszeitregelungen bastelt, um Frauen den Einstieg zu erleichtern oder in Völkermarkt, wo man über neue Mobilitätskonzepte die Wege zur Arbeitsstelle erst ermöglicht. Das AMS unterstützt aber auch Projekte wie „A:Life“ gemeinsam mit der Diakonie, dem Land und der IV Kärnten zur Integration von Asylberechtigten in Lehrstellen. Wedenig hob hier explizit die positive Rolle des Leitbetriebs Infineon Technologies Austria hervor.  

Hat Österreich ein Mentalitätsproblem?

Christoph Kulterer, Chef des Holzindustrieunternehmens Hasslacher Gruppe mit Stammsitz in Sachsenburg und bereits 700 Mitarbeitern im abwanderungsgeplagten Oberkärnten, konnte die Verdoppelung der Belegschaft in zehn Jahren bisher ganz gut stemmen. Viele Oberkärntner, die vorher in andere Regionen auspendeln mussten, griffen zu, als sie ihren Arbeitsplatz näher an den Wohnort rücken konnten. Außerdem setze man viel Energie in die Ausbildung. Die Hasslacher Gruppe hat dafür eine eigene Akademie installiert.

Nun merke er aber, dass es doch schwieriger werde, neue junge Leute nach Oberkärnten zu locken. Ihm fehlen durchdachte und vor allem erschwingliche Mobilitätskonzepte für Pendler, aber auch ein schlagkräftiger Außenauftritt Kärntens in der Vermarktung des Standorts. Trotz Abwanderung sei es außerdem schwierig, in Oberkärnten überhaupt Wohnraum zu finden. Man überlege schon, wieder Mitarbeiterwohnungen zu bauen. Die Schwierigkeiten, neue Mitarbeiter zu finden, führen aber auch zu Überlegungen, die Expansion dort voranzutreiben, wo man Mitarbeiter finde. Kulterer sieht in Österreich nicht erst seit der Pandemie ein zunehmendes Mentalitätsproblem: Denn durch die vielen unterschiedlichen New-Work-Ideen und die stets diskutierte 4-Tage-Woche werden wirtschaftlich nicht abbildbare Erwartungshaltungen ausgelöst.

Plädoyer für Lehrlingsausbildung

Für Corinna Schleschitz vom Autozulieferer Mahle steht im Zentrum der Maßnahmen zur Rekrutierung von Fachkräftenachwuchs die Lehrlingsausbildung in der eigenen Lehrwerkstätte, wo konstant 50 Lehrlinge beschäftigt werden. Auch die Bedeutung von guten Mobilitätskonzepten unterstreicht sie. Aktuell sei es gelungen, den Werksverkehr in den öffentlichen einzubinden und so für viele die Fahrt zur Arbeit zu erleichtern.

Auch den slowenischen Arbeitsmarkt dürfe man nicht unterschätzen. Probleme ergeben sich hier nur in der Doppelbesteuerung und in weltfremden arbeitsrechtlichen Regelungen. So sei etwa das Homeoffice von slowenischen Mahle-Mitarbeitern in ihrer Heimat kaum möglich. Die Kinderbetreuung habe sich verbessert, sei aber wegen der Schichtarbeit nur in privaten Institutionen möglich. Schleschitz sieht gute Chancen, Pensionisten zum längeren Arbeiten zu motivieren, wenn man das steuerlich attraktiver gestalten würde.

 Video zur Veranstaltung hier